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"Die Situation vor Ort bestimmt die Aktion"

In den Kriegen beim Zerfall Jugoslawiens, im Irak, in Syrien oder Afghanistan wurden Kulturgüter immer wieder zur Zielscheibe von Angriffen und Zerstörung. Rino Büchel war an vielen Arbeiten beteiligt, welche den Schutz von Kulturgut auf internationaler Ebene verbessern sollten. Nach unserem Gespräch über die Tätigkeiten in der Schweiz stehen die Aktivitäten im internationalen Bereich im Fokus des zweiten Teils unseres Interviews.

20.05.2021 | Kommunikation BABS

Bilder: Rino Büchel beim Berner Münster - einem Kulturgüterschutzobjekt von nationaler Bedeutung (Foto: VBS DDPS, Nadine Strub)

Interview mit dem abtretenden Chef Kulturgüterschutz im BABS, Rino Büchel – Teil 2

1999 wurde das zweite Protokoll zum Haager Abkommen erarbeitet, das den Kulturgüterschutz weiterentwickelte: Erstmals waren Strafbestimmungen vorgesehen für die Zerstörung von Kulturgut, für „kulturelles Erbe von höchster Bedeutung für die Menschheit“ kann ein verstärkter Schutz geltend gemacht werden, ein Staatenkomitee mit verschiedenen Aufgaben wurde gegründet.

Sie waren Teil der Schweizer Viererdelegation, die massgeblich mitbeteiligt war, einen zusätzlichen Artikel in die Konvention einzubringen.

Die Delegation wurde von einem Diplomaten geleitet, daneben waren ein Experte für Kriegsvölkerrecht, meine Wenigkeit sowie ein Anwärter auf den diplomatischen Dienst dabei. Als klar wurde, dass sich genügend Staaten für ein neues Protokoll einsetzen, haben wir Vorschläge gemacht, die aus der Praxis stammten: Kulturgüter sollten nicht nur vor Krieg geschützt werden, sondern auch vor Katastrophen. Zwingende Voraussetzung für einen wirksamen Schutz ist ein Inventar, das die Güter ausweist, und eine Einsatzplanung, wie man diese Güter im Bedarfsfall an einen sicheren Ort bringt.

Daraus wurde Artikel 5, an dem vor allem die Schweiz und Österreich arbeiteten. Resultat des Schweizer Efforts war, dass Sie als Schweizer Vertreter in das ständige Komitee berufen wurden, das die Umsetzung des Protokolls begleitete.

Diese Arbeit führte zu eindrücklichen Begegnungen mit Menschen, die Kulturgüterschutz mit ganz anderen Voraussetzungen betrieben, etwa in Syrien, Algerien, Rumänien. Das internationale Umfeld lief ständig Gefahr, politisiert und zerredet zu werden. Ich hatte das Glück, mit fähigen und motivierten Fachleuten, Juristinnen, Diplomaten aus der Schweiz und aus Österreich zu arbeiten. So konnten wir in heiklen Fragen rasch vorwärtskommen. Nur mitmachen reichte mir nicht. Wenn man Ideen hat, diese beharrlich verfolgt und talentierte, gleichgesinnte Leute findet, kann man immer etwas bewegen.

Bilder: Rino Büchel beim Berner Münster – einem Kulturgüterschutzobjekt von nationaler Bedeutung (Foto: VBS DDPS, Nadine Strub)

Ihre internationale Arbeit kreiste um die Frage des "verstärkten Schutzes", der Kulturgütern zuerkannt werden sollte. Worum ging es da?

Es ging darum, das Verfahren in Form von Guidelines aufzubauen, anhand derer einem Objekt international ein "verstärkter Schutz" zuerkannt wird. Das verlangt Vorleistungen des Staats, der diesen Schutz geltend machen will. Militär, Politik und Kulturgüterschutz müssen gemeinsam vorgehen, damit ein Objekt diesen Schutzgrad beanspruchen darf. Dieser Ansatz hilft auch bei den Anstrengungen in Friedenszeiten, zu einem solchen Objekt Sorge zu tragen. Später kam die Frage des safe haven dazu - also der Möglichkeit, Kulturgüter vorübergehend aus einem Land zu evakuieren und sicher unterzubringen, wenn dieses im Chaos versinkt.

Die Schweiz hatte früh eine gesetzliche Grundlage, um als safe haven zur Verfügung zu stehen.

Wir konnten in der Schweiz, aufbauend auf das zweite Haager Protokoll, ein neues Kulturgüterschutzgesetz erarbeiten, das 2015 in Kraft trat. Ich setzte mich dafür ein, dass wir darin eine konkrete, funktionierende Lösung für die Safe-haven-Thematik aufnahmen. Heute hätte die Schweiz die Mittel, die Betriebsorganisation und die Räume, um als safe haven zu dienen. Sogar einen Musterstaatsvertrag haben wir vorbereitet.

Dieser Schweizer Ansatz stiess weltweit auf Interesse.

Unsere Stärke lag darin, neben der Theorie auch die praktische Umsetzung zu planen. Ich wurde eingeladen, diesen Ansatz an einer Konferenz in Abu Dhabi vorzustellen. Auch Frankreich und Deutschland hatten Interesse. Heute sind wir international viel besser aufgestellt, auch wenn es in der Praxis hohe Hürden gibt, bis sich eine Regierung entschliesst, ihre kulturellen Schätze ausser Landes in Obhut zu geben. Unser Mustervertrag diente zudem als wichtige Grundlage für ein Abkommen, das die Lagerung von Mikrofilm-Kopien des Fürstentums Liechtenstein in der Schweiz erlaubt.

Als Teil der internationalen Arbeiten besuchten Sie auch den Kulturgüterschutz in anderen Staaten. Welches waren Ihre Erfahrungen?

In der Schweiz haben wir günstige Voraussetzungen, um unser Kulturgut zu schützen, sei es finanziell oder organisatorisch. Wir konnten auch Partnerorganisationen und Politik von unserer Sache überzeugen. Für mich waren die internationalen Arbeiten immer auch eine Möglichkeit, unser Wissen und unsere Erfahrungen zu teilen. In anderen Ländern mit weniger günstigen Voraussetzungen bestand die Herausforderung oft darin, die vorhandenen Ressourcen geschickt zu nutzen, um Inventare, Dokumentationen und Einsatzplanungen voranzubringen. Man kann immer etwas machen, aber man muss die Situation vor Ort miteinbeziehen und resultatorientiert arbeiten. Meine Partner im Ausland haben diesen Ansatz geschätzt.

Auch privat sind Sie viel gereist. Welches ist denn nun Ihr Lieblingskulturgut?

In der Schweiz ist der Reichtum an Kulturgütern sehr gross. Unsere grössten Schätze bei den Grossbauten sind wahrscheinlich im Bereich der Klöster zu finden. Weltweit hat mich wohl das Pantheon in Rom am meisten beeindruckt, eine architektonische und bautechnische Meisterleistung, aber auch in der Raumwirkung ist die grosse Kuppel dieses Bauwerks gewaltig.

 

Danke für das Gespräch.

Interview: Christian Fuchs, Kommunikation BABS


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