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Zum Ende einer langen Karriere im Bevölkerungsschutz

Ende Juni 2022 ist Christoph Flury, Vizedirektor des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz BABS und Chef des Geschäftsbereichs Zivilschutz, in Pension gegangen. Mitten im Trubel der letzten Arbeitstage stand er für ein paar Fragen zu seiner Karriere und zum Bevölkerungsschutz zur Verfügung.

14.07.2022 | Kommunikation BABS

Bild nur Flury

Sie schwirren durch die Gänge, die Mitarbeitenden geben sich die Klinke zu ihrem Büro in die Hand: einen ruhigen Abgang haben Sie nicht.

Christoph Flury: (Lacht.) Das ist richtig. Gerade haben wir die Beantwortung von Vorstössen aus dem Parlament vorbereitet, ein weiterer liegt noch auf dem Tisch. Die to-do-Liste bis zu meinem Abschied ist noch ziemlich lang. Mein Büro werde ich dann als Pensionierter räumen.

Sie sind 1995 ins damalige Bundesamt für Zivilschutz eingetreten. Warum blieben Sie bis heute beim Bevölkerungsschutz und Zivilschutz hängen?

Die Arbeit zum Schutz unserer Bevölkerung ist befriedigend und das föderalistische Umfeld ist herausfordernd. Es hat mich immer gereizt, in diesem Spannungsfeld, im Sinne des Ganzen, des Bevölkerungsschutzes und des Zivilschutzes, mit allen Beteiligten die besten Lösungen zu erarbeiten. Schön war aber auch die menschliche Seite, der Austausch im Amt und im Departement und mit den Vertreterinnen und Vertretern der Kantone. Dieses ganze Umfeld des Bevölkerungsschutzes habe ich als anregend und bereichernd empfunden. Vor allem durch die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden in meinem Bereich habe ich viel gelernt und auch viel Vertrauen gespürt. Und es ist ja nicht so, dass ich 27 Jahre am gleichen Pulli gestrickt habe, ich hatte die Chance, verschiedenste Funktionen zu übernehmen und an den wesentlichen Projekten und Konzepten mitzuarbeiten.

Sie sind einer der Väter des modernen Bevölkerungsschutzes. Was waren die grössten Herausforderungen bei der Schaffung dieses neuen Verbundsystems?

Ende der 1990er Jahre ging es darum, die Organisationen, die bei der Bewältigung von Katastrophen und Notlagen Aufgaben hatten, unter ein Dach zu bringen, sie besser zu koordinieren. Im Einsatz sollten diese Partnerorganisationen – Polizei, Feuerwehr, Gesundheitswesen, technische Betriebe und Zivilschutz – unter einem gemeinsamen Führungsorgan zusammenarbeiten, sie sollten für die zentralen Gefährdungen gewappnet sein. Dieses Verständnis von Verbund und Zusammenarbeit war damals kaum entwickelt, die Partnerorganisationen waren eigenständig. Die Herausforderung war, die unterschiedlichen Kulturen einander anzunähern – Teambildung sozusagen. Entsprechend brauchte es viele Diskussionen. Gleichzeitig galt es auch, die Zuständigkeiten zwischen Bund und Kantone zu klären. Kürzlich hatte ich ein Treffen mit meinen damaligen Kollegen in der Projektleitung, und wir waren uns einig: Die damaligen Ziele haben wir weitgehend erreicht, und das Verbundsystem funktioniert.

Welches sind denn die prägnantesten Unterschiede zum Bevölkerungsschutz von damals?

Den Bevölkerungsschutz, wie wir ihn heute kennen, gibt es erst seit 2004, seit der Bevölkerungsschutz-Reform. Eine Zusammenarbeit, basierend auf jener im Alltag, gab es zwar schon, aber das Verbundsystem wurde erst damals schweizweit aufgebaut. Der Zivilschutz war zuvor noch praktisch ausschliesslich auf das Szenario eines bewaffneten Konflikts ausgerichtet und ist durch die Reform zu einem starken und anerkannten Instrument zur Bewältigung von Katastrophen und Notlagen geworden. Das freut mich persönlich sehr.

Wie hat sich der Zivilschutz konkret verändert?

Der Zivilschutz hat sich stark gewandelt. Er hat sich von der Massenorganisation, die bis ins Detail die Aufgaben im Kriegsfall durchexerzierte, weiterentwickelt zu einer schlagkräftigen Organisation zur Bewältigung von Katastrophen und Notlagen – ob bedingt durch Natur-, Technik- oder gesellschaftliche Ereignisse. Der Zivilschutz ist dabei schlanker, jünger und wirkungsvoller geworden, er ist regional besser aufgestellt und materiell gut ausgerüstet. Durch die Neuausrichtung wurde der Zivilschutz in erster Linie ein Mittel der Kantone, wobei immer auch eine gewisse Unité de Doctrine gewahrt werden muss.
Wenn ich auf die Covid-Pandemie zurückschaue darf ich sagen: Der Zivilschutz hat diese wirklich grosse Herausforderung mit Bravour gemeistert. Und er hat dafür eine entsprechende Anerkennung erfahren. Es macht Freude, dass die damals entwickelten Konzepte sich jetzt in grossen Ereignissen bewährt haben. Das gibt auch eine innere Befriedigung.

Anpassungen im System brachten die Strategie Bevölkerungsschutz und Zivilschutz 2015+ sowie die Gesetzesrevision 2021. Gibt es noch offene Baustellen?

Tatsächlich wurden wir in diesem Jahr sozusagen von der Vergangenheit eingeholt. Wenn wir die heutige sicherheitspolitische Situation mit dem Ukrainekrieg anschauen, hat sich doch einiges verändert. Wir gingen bei der Reform davon aus, dass es künftig primär um die Bewältigung von Katastrophen und Notlagen geht und dass wir für eine Bedrohung durch einen Krieg in der Schweiz mehrere Jahre Vorwarnzeit hätten. Jetzt ist der Krieg in Europa wieder zurück.

Haben sich gewisse Annahmen, die mit der Bevölkerungsschutzreform erfolgten, als voreilig oder zu optimistisch erwiesen?

Wir – und damit meine ich die meisten Menschen, nicht nur in unserem Land – haben auf viele Jahre nicht mehr mit einem grossen Krieg in Europa gerechnet. Es ist anders gekommen. Wir müssen nun bezüglich möglichen Kriegsszenarien wieder vermehrt Konzepte erarbeiten. Jedenfalls scheint die Zeit vorbei zu sein, in der wir alle sozusagen von einer Friedensdividende profitiert haben. Es gilt, wieder in Planungen und Vorbereitungen zu investieren, die über längere Zeit in der Schublade lagen.
Dennoch bin ich überzeugt, dass die Bevölkerungsschutzreform richtig war: Trotz der Neuausrichtung haben wir die Herausforderungen eines bewaffneten Konflikts nie komplett aus den Augen verloren und haben diesbezüglich an vielen Vorkehrungen festgehalten, beispielsweise an der Schutzbauinfrastruktur oder an der Alarmierung. Das war vorausschauend, darf man sich heute loben. Im Gegensatz zu anderen Ländern haben wir nicht alles abgebaut, sondern gute Grundlagen beibehalten. Zum anderen bleiben Katastrophen und Notlagen die zentralen Gefahren, insbesondere mit Blick auf den Klimawandel. Die Aufgaben für den Bevölkerungsschutz werden also noch komplexer und anspruchsvoller. Meinem Nachfolger wird die Arbeit nicht ausgehen! (Lacht.)

Gefährdungen, Katastrophen und Notlagen machen bekanntlich nicht vor Grenzen halt, ebenso wenig soll man den Bevölkerungsschutz nur bis an Kantons- oder Landesgrenzen denken und planen. Haben Ihre Funktionen auch eine internationale Dimension oder war das immer eine strikt inländische Angelegenheit?

Wir haben einen intensiven Austausch mit unseren Nachbarländern gepflegt, insbesondere mit Deutschland, dessen Bevölkerungsschutz auch föderalistisch aufgebaut ist. Ich war dort in mehreren Städten, von Stuttgart über Bonn, Hannover, Dresden bis Berlin, um an Konferenzen zu verschiedensten Bevölkerungsschutz-Themen zu referieren und um uns mit Partnern auszutauschen. Eine besondere Freude war, dass ich einige Jahre als Präsident des Europäischen Katastrophenschutzkongresses in Berlin amtieren durfte. Durch all diese Kontakte entstand ein wertvolles internationales Beziehungsnetz.

Die Schweizer Bevölkerung ist in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen, multikultureller und urbaner geworden. Inwiefern hat dies die Wahrnehmung des Zivilschutzes geprägt oder verändert?

(Überlegt) Wenn wir die gesellschaftlichen Veränderungen im Hinblick auf das Dienstpflichtsystem anschauen, dann sehen wir, dass viele junge Menschen stärker individuelle Ziele verfolgen und oft nicht verstehen, warum sie für die Armee oder den Zivilschutz – und letztlich für die Gesellschaft – Dienst leisten sollen. Zudem haben internationale Unternehmen häufig auch nicht das nötige Verständnis für unser schweizerisches Milizsystem. Wir müssen aber gerade zu diesem Milizsystem Sorge tragen und auch in Zukunft die nötigen Personalbestände von Zivilschutz und Armee sicherstellen.

Wenn Sie auf Ihre Laufbahn im Bevölkerungsschutz zurückblicken, gibt es neben dem Verbundsystem Bevölkerungsschutz weitere Errungenschaften, an die Sie sich gerne erinnern?

Da gibt es viele Dinge. Ich durfte interessante Projekte leiten, darunter die Weiterentwicklung des Zivilschutzes im Rahmen des Projektes 2015+, verbunden mit all den rechtlichen Grundlagen. Auch die Lancierung von Alertswiss erachte ich als sehr wertvoll. Ein System, das inzwischen etabliert ist. Ein besonderes Anliegen war mir immer die Bevölkerungsschutz-Konferenz, die ich aufbauen und während 17 Jahren führen und moderieren durfte. Zu dieser Konferenz trafen sich alle Partner und konnten sich dort auch neben dem eigentlichen Programm unter einander austauschen – netzwerken, wie man sagt. Ich selbst habe dabei viele interessante Menschen aus den verschiedensten Disziplinen kennengelernt.

Bild Flury Interview 3
Christoph Flury beim Abschiedsinterview

Sie waren jetzt bis ganz am Schluss mit Herzblut bei der Sache, haben sogar den formal vorgesehenen Zeitpunkt für die Pensionierung um drei Monate überzogen. Wie darf man sich Ihre allerersten Tage als Pensionär vorstellen?

Bis zum letzten Tag gibt es keine Möglichkeit herunterfahren, weil noch so vieles zu erledigen ist. Aber der Schnitt kommt. Am ersten Tag werde ich an einem fast schon traditionellen Wurst-Event teilnehmen und Wildwürste produzieren. Ein guter Übergang mit liebgewonnenen Kollegen aus dem Amt. Und es entsteht erst noch etwas Feines dabei. Dann werde ich den Kopf durchlüften und die Sommerfrische am Meer oder in unseren Bergen geniessen. Der Bevölkerungsschutz und der Zivilschutz liegen mir aber nach wie vor am Herzen. Ich kann mir gut das eine oder andere Engagement vorstellen, um mein Wissen und meine Erfahrung einzubringen. Aber ich beabsichtige nicht, dies auch noch mit 75 oder 80 Jahren und mit noch weisseren Haaren zu tun. On verra.

 

Interview: Jonas Hoehn, Kommunikation BABS

Zur Person

Christoph Flury trat nach seinem Studium (Geschichte/Germanistik) und Assistententätigkeit an der Universität Freiburg (CH) 1995 in das damalige Bundesamt für Zivilschutz BZS ein, wo er im Bereich Ausbildung tätig war. Von 1999 bis 2003 war er Mitglied der Projektleitung für die Reform des Bevölkerungsschutzes/Zivilschutzes. Ab 2004 war er Chef Strategie im neuen Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS und ab 2007 leitete er dort den Geschäftsbereich Konzeption und Koordination. 2013 wurde er zum stellvertretenden Direktor ernannt. In den letzten drei Jahren war er Chef des Geschäftsbereichs Zivilschutz im BABS.


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