Entscheiden aus eigener Verantwortung
Krisenlagen werden im Kanton Uri meistens durch Unwetter ausgelöst. Diesmal ist jedoch eine «unsichtbare Gefahr» zu bewältigen. Wie geht der kantonale Führungsstab mit einem ungewohnten Pandemie-Fall um?
24.04.2020 | Kommunikation BABS
«Unsichtbar, ungewiss und unsicher»: So beschreibt Ignaz Zopp, Leiter des Kantonalen Führungsstabs Uri (Kafur), die aktuelle Lage, in der das Corona-Virus einen grossen Teil des Alltags für Wochen und Monate lahmgelegt hat. Mitte März schickte der Bundesrat die ganze Schweiz in den Covid19-Lockdown; daraufhin stellte auch die Urner Regierung den Verwaltungsapparat auf Krisenmodus. Nun muss der Kantonale Führungsstab (Kafur) entscheiden, wie die Bevölkerung am besten zu schützen und welche Grundversorgung für das öffentliche und wirtschaftliche Leben aufrechtzuerhalten ist. Seit sechs Wochen sitzt das sechsköpfige Gremium jeweils einmal pro Arbeitstag zusammen; der tägliche Krisenrapport findet in der Einsatzzentrale im Zivilschutz-Ausbildungszentrum in Erstfeld statt.
Die Bewältigung eines Hochwassers läge im Zentralschweizer Bergkanton in erfahrenen Händen. Solche Ereignisse sind «zeitlich begrenzt, und dank genauer Wetterprognosen ziemlich gut planbar». Nun wirft die Pandemie aber nicht nur die Bevölkerung aus gewohnten Alltagsbahnen, sondern konfrontiert auch das Urner Führungsorgan mit bislang unbekannten Tatsachen. «Lieferketten für wichtige Güter sind plötzlich unterbrochen; und täglich tauchen neue Herausforderungen auf», sagt Kafur-Leiter Zopp. Wenn aber Verlässlichkeit und Planbarkeit schwinden, wie findet sich ein Führungsstab zurecht, um tragfähige Entscheide zu fällen?
Bildung und Wirtschaft mit dabei
Die Regierung hat darauf im Voraus reagiert und die fachliche Verantwortung innerhalb des Kafur neu organisiert: Die sonst aufgebotenen Spezialisten für Naturgefahren oder Vertreter von technischen Rettungsorganisationen machen Verantwortungsträgern im Bildungsbereich und in der Volkswirtschaftsdirektion Platz. Mit letzteren und weiteren Kantonsdelegierten aus dem Gesundheits- und Spitalwesen, der Kantonspolizei und der Kommunikation trifft sich Kafur-Leiter Zopp, der sonst Vorsteher des Amts für Bevölkerungsschutz und Militär ist, jeweils zum Tagesrapport. Auch der Zivilschutz ist mit von der Partie: Dessen Führung organisiert das Lagebüro und die Zutrittskontrolle.
Gesundheitsversorgung und Beschaffung von Schutzmaterial geben bis heute am meisten zu besprechen. Aber einiges, was ebenso zur Krisenbewältigung gehört, war überraschend. Zum Beispiel: Wie geht man mit dem drohenden Osterverkehr am Gotthard um?
«Den Tunnel nicht zu schliessen, war immer unser Standpunkt», sagt Kafur-Chef Ignaz Zopp. Um den Forderungen nach einer Verkehrsberuhigung zumindest entgegenzukommen, entschied sich der Führungsstab für eine vorkehrende Intervention vor Ort. Die aufgebotenen Polizisten erhielten ein Briefing: «Wir wollten keine Ordnungsbussen verteilen, sondern auf die Gefahr einer Reise ins Tessin hinweisen.» Um weitere Missverständnisse zu vermeiden, wurden mehrsprachige Polizisten zum Dienst eingeteilt. Die Aktion war eng mit den Tessiner Kollegen abgesprochen.
Unpopuläre Entscheide
Dass Entscheide in Krisenzeiten nicht immer richtig verstanden oder begrüsst werden, bekam das Kafur inzwischen auch zu spüren. So präzisierte der Urner Führungsstab wenige Tage nach dem nationalen Lockdown das Spektrum der Sofortmassnahmen: Alle über 65-Jährigen waren aufgefordert, möglichst zuhause zu bleiben; im Gegenzug wurde ein Einkaufsdienst mit dem Kantonalverband Uri des Schweizerischen Roten Kreuzes organisiert. «Die Ausgangsbeschränkung für die Risikogruppe beschlossen wir, weil die Empfehlungen vom Bund zuvor nur bedingt eingehalten wurden», ergänzt Ignaz Zopp.
Der Entscheid wurde am selben Abend vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement für rechtsgültig erklärt. Doch als die Medien danach von «einer Ausgangssperre für Urner Senioren» sprachen, änderte der Bundesrat die Covid-Verordnung. Dadurch wurde die Beschränkung im Kanton Uri obsolet.
Eine Besonderheit der Urner Krisenorganisation ist jedoch: Das Kafur darf in dringlichen Fällen selbst entscheiden, ohne die Regierung zuvor konsultieren zu müssen. «Für solche Entscheide tragen wir die volle Verantwortung; eine formelle Genehmigung durch die politische Instanz muss aber so rasch wie möglich nachgereicht werden», sagt der Kafur-Leiter.
Ein- bis zweimal pro Woche nimmt er deshalb an den Regierungsratssitzungen teil. Die heisse Anfangsphase, in der viele Sofortmassnahmen abzusprechen waren, ist jetzt vorbei. Viele Abläufe haben sich eingespielt. Am Behördenrapport «kommt mir nun ab und zu die Rolle des Warners zu, um der Tendenz der Verwaltung entgegenzutreten, wieder in den Alltagsmodus zu wechseln.»
Fokus auf Verzichtsplanung
Ein weiteres wichtiges Thema zu Beginn der Krisenarbeit war: mit einer Verzichtsplanung freie Reserven für anstehende Zusatzaufgaben zu schaffen. So soll sich die Finanzbehörde prioritär um Hilfsgesuche von kleinen und grossen Unternehmen kümmern können. Oder es wurde nach Rücksprache mit dem Polizeikommando beschlossen, statt den Schwerverkehr auf der Transitroute so häufig wie üblich zu kontrollieren, Einsatzkräfte abzustellen, um Ausflügler und Freizeitsportler, die die schneefreien, aber gesperrten Passstrassen entdeckten, über ihr unbedarftes Tun aufzuklären.
Was das Kafur bei aller Kompetenzen zu beachten hat: «Wir sprechen uns bei Bedarf mit den Gemeinden, den Nachbarkantonen und dem Bund ab», sagt Zopp. Ebenso gilt es die Fachkompetenz der beteiligten Organisationen und Ämter oder die Vorgaben des Bundes zu respektieren.
Der Lockdown geht auch in Uri weiter. Diese Phase wird der Kafur nun wie die angekündigten Lockerungstermine 27. April, 11. Mai und 8. Juni im Auge behalten. Zopp erwartet «noch weitere grosse Herausforderungen». Denn jede Lockerung berge die Gefahr, das bisher Erreichte aufs Spiel setzen.